Engagierte Literatur 2.0
Die spanische Schriftstellerin Cristina Morales lehrt im Frühjahrssemester 2023 als «Friedrich Dürrenmatt Gastprofessorin für Weltliteratur» an der Universität Bern. In ihrem wöchentlichen Seminar wird sie das Verhältnis von Literatur und Politik aktuell diskutieren.
Im Frühjahrssemester 2023 übernimmt Cristina Morales die Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur an der Universität Bern. Die 1985 in Spanien geborene Schriftstellerin wird ein Semester lang an der Philosophisch-historischen Fakultät ein Seminar anbieten, mit Studierenden und Doktorierenden zusammenarbeiten und in öffentlichen Veranstaltungen auftreten.
«Leichte Sprache»
Cristina Morales gilt als eine der vielversprechendsten Nachwuchsautorinnen Spaniens. Sie hat als Dramatikerin an verschiedenen Theatern gearbeitet und für ihre Kurzgeschichten sowie Romane bereits zahlreiche Literaturpreise erhalten. In ihrem jüngsten Erfolgsroman «Lectura fácil» (2022, deutsch: «Leichte Sprache») nimmt Cristina Morales die Perspektiven von vier «geistig behinderten» Frauen ein. Energisch und unverblümt sprechen sie ihre Wut auf eine Gesellschaft aus, die sie bevormundet und einschränkt. Die Autorin und die deutsche Übersetzerin des Romans, Friederike von Criegern, wurden mit dem Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin ausgezeichnet.
Engagement und Politik
Als studierte Politik- und Rechtswissenschaftlerin ist Cristina Morales überzeugt davon, dass literarische Werke stets von den politischen Anliegen ihrer AutorInnen beeinflusst sind. In ihrem wöchentlichen Seminar will sie daher mit der Vorstellung brechen, dass die Politik eine von der Kunst und von unserem Alltag getrennte Sphäre sei. Morales möchte die Idee überwinden, dass nur bestimmte Werke der Literatur, für die eigene Regeln gelten, politisch sein können. Literatur kann immer politisch sein, so lautet ihr Credo, und sie soll immer engagiert sein. Mithilfe von Vorbildern wie dem brasilianischen Pädagogen Paulo Freire will Morales mit ihren Studierenden die Mittel politischer Literatur erkunden und die Fähigkeiten zum Engagement zurückgewinnen, um über die Gesellschaft nachzudenken und die Realität zu beeinflussen, angesichts aktueller Erfahrungen von Umweltzerstörung, Ungleichheit, Rassismus, Autoritarismus und Homophobie. Inspiriert ist Cristina Morales durch feministische und anarchistische Bewegungen. In Barcelona betreut sie die Punk-Band «At-Asko».
Kunst und Provokation
«Wir freuen uns, dass wir eine junge Autorin gewonnen haben, die uns kritische Anregungen geben wird», sagt Projektleiter Oliver Lubrich, Professor für Komparatistik an der Universität Bern. «Die Universität und das Literaturstudium sind auch ein Raum für künstlerische, intellektuelle Provokation.»